Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Aschaffenburg

Während des Zweiten Weltkrieges wurden überall im Deutschen Reich Zwangsarbeiter eingesetzt, um den kriegsbedingten Arbeitskräftemangel zu kompensieren und die Wirtschaft und Produktion im Reich aufrecht zu erhalten. Auch in Aschaffenburg wurden zahllose „Ost-„ und Zivilarbeiterinnen und -arbeiter aus ganz Europa beschäftigt, wobei der Großteil der Arbeitenden aus den besetzten sowjetischen Gebieten stammte. Der Großteil von ihnen kam wiederum aus dem Reichskommissariat Ukraine. Die Anwesenheit von ukrainischen Bürgerinnen und Bürgern in Aschaffenburg heute ist also keineswegs eine neue Situation. War damals das Zusammenleben durch Hass und Ausbeutung geprägt, einen uns heute Solidarität und der gemeinsame Wunsch nach Frieden.
Dieses Kapitel der Stadtgeschichte macht deutlich, wie verbunden Deutschland und die Ukraine historisch sind und wie aktuell damit auch die UNRRA-Dokumente sind.

Die UNRRA und ihre Aufgaben

Die UNRRA, Abkürzung für United Nations Relief and Rehabilitation Administration (deutsch: Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen) wurde 1943 gegründet und übernahm nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa und Asien die Aufgabe, in den ehemals durch die Achsenmächte besetzten Gebiete humanitäre Hilfe zu leisten, sowie Vertriebene und Verschleppte (engl. Displaced Persons, DPs) zu repatriieren, also in ihre Heimatländer zurückzuführen. Die UNRRA erfasste dabei u.a. die im Reich eingesetzten Zwangsarbeiter. Für diese Tätigkeit sammelte die UNRRA auch in Aschaffenburg Daten und Dokumente von eingesetzten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern und aus dieser Quelle stammte der UNRRA-Bestand im Stadt- und Stiftsarchiv.
Sollten Sie neugierig geworden sein und mehr über die UNRRA erfahren wollen, können Sie hier weiterlesen.

Umstrukturierung des UNRRA-Bestands im Stadt- und Stiftsarchiv

Der UNRRA-Bestand des Stadt- und Stiftsarchiv wurde im Oktober 2021 als eigenständiger Bestand aufgelöst und provisorisch nach SBZ II importiert. Zu diesem Zeitpunkt lag der Ukrainekrieg noch in weiter Ferne, die Auflösung sollte lediglich dazu dienen, die UNRRA-Dokumente genauer zu sichten und in passendere Bestände zu übertragen.
Der Bestand beinhaltet Originaldokumente der UNRRA und originale Dokumente der  Ost-, Zivil- und Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter, welche während des Zweiten Weltkrieges in Aschaffenburger Betrieben eingesetzt waren.
Im Zuge der Sichtung wurde eine genauere Erfassung der im Bestand erfassten Personen von Jan Majunke (FSJ) begonnen und im Juni 2022 abgeschlossen.
Tabellarisch erfasst wurden 3 Arten von personenbezogenen Originaldokumenten:

  • UNRRA-Ermittlungsblätter: diese Ermittlungsblätter wurden nach Ende des Krieges von der UNRRA angefertigt und basieren auf Nachforschungen in Aschaffenburg zwischen 1945 und 1949. Der Bestand enthielt 2846 Ermittlungsblätter, welche tabellarisch erfasst wurden und nun dem Bestand SBZ II zugeordnet sind.
  • Meldekarten der Zivilarbeiter: die Meldekarten stammen aus dem Dritten Reich und dienten zur Erfassung der Zivilarbeiter, welche in Aschaffenburg eingesetzt waren. Sie entstanden in Aschaffenburg zwischen 1939 und 1945. Der Bestand enthielt 418 Meldekarten, welche nun der neugeschaffenen Kartei KartP03 – „Meldekarten der Zivilarbeiter“ zugeordnet sind.
  • Arbeitsbücher für Ausländer: die Arbeitsbücher für Ausländer stammen aus der Zeit zwischen 1939 und 1945 (mit Ausnahme einiger tschechoslowakischer Dokumente aus den frühen 30ern). Sie dienten zur staatlichen Kontrolle und Lenkung der eingesetzten „fremdvölkischen“ Arbeitskräfte im Reich und wurden vom Arbeitsamt ausgegeben. Der Bestand enthielt 630 Arbeitsbücher, welche nun der neugeschaffenen Kartei KartP04 – „Nachweise über Einsatz und Versicherung von Ost- u. Zivilarbeitern“ zugeordnet sind.
    • Dokumente der DAF und Versicherung für Ost-, Zivil- und Zwangsarbeiter: gemeinsam mit den Arbeitsbüchern waren diverse lose Dokumente der in Aschaffenburg eingesetzten Zwangsarbeiter eingepackt. Dazu zählen u.a. Lohnsteuerkarten, Quittungskarten der Invalidenversicherung, Beitragsquittungskarten der Ausländerbetreuung der DAF und viele mehr. Um den Überlieferungszustand zu erhalten, wurden diese Dokumente ebenfalls der neugeschaffenen Kartei KartP04 – „Nachweise über Einsatz und Versicherung von Ost- u. Zivilarbeitern“ zugeordnet. Der Bestand enthielt diverse lose Dokumente von 281 Personen.

Ergebnisse der Erfassung

Neugeschaffen wurden die Bestände KartP 03 – „Meldekarten der Zivilarbeiter“ und KartP 04 – „Nachweise über Einsatz und Versicherung von Ost- u. Zivilarbeitern“.
KartP 03 beinhaltet die Meldekarten der Zivilarbeiter im III. Reich, KartP 04 beinhaltet Arbeitsbücher, sowie weitere Dokumente der Invalidenversicherung, der Ausländerbetreuung der D.A.F., und vieles mehr. In SBZ II belassen wurden die bei der Stadt entstandenen Unterlagen der UNRRA, dazu zählen die Ermittlungsblätter, sowie Zwangsarbeiter-Betriebslisten, Entwurfblätter/Pauseblätter/Originalblätter und Listen mit Aufenthaltsdaten, welche im Zuge der Auslösung nicht gesondert gesichtet wurden und somit auch nicht digital tabellarisch erfasst wurden.
Die tabellarische Erfassung der eingesetzten Personen hat zur Folge, dass alle vorhanden Dokumente  eine Signatur erhalten haben und nun, mithilfe der entstandenen Tabellen, Einzelpersonen zuordenbar sind. In allen Tabellen finden sich Querverweise, welche Dokumente der jeweiligen Person vorhanden sind.
Dies ermöglicht eine schnelle Sichtung aller im Archiv liegenden Dokumente des jeweiligen Zwangsarbeiters sowie ein Abgleich der persönlichen Daten zwischen den verschiedenen Dokumenten.

Fazit

Angesichts des andauernden Ukrainekrieges und der Flüchtlingsbewegungen aus der Ukraine zeigt sich, wie aktuell die UNRRA-Akten noch heute sind. Deutschland und die Ukraine bzw. Osteuropa teilen eine lange und wechselvolle Geschichte, und wir erleben derzeit ein weiteres Kapitel in dieser langen Geschichte.
Deshalb ist es unerlässlich an die gemeinsame Vergangenheit zu erinnern. Viele ukrainische Orte, aus denen heute Menschen zu uns kommen, wurden im Zweiten Weltkrieg von deutschen Truppen verheert und geplündert, die Einwohner zur Zwangsarbeit verschleppt oder ermordet. Heute tobt dort erneut ein Krieg, wenn auch unter gänzlich anderen Vorzeichen.
In Anbetracht dieser Tatsache verdient  dieses Kapitel der Stadtgeschichte zweifellos mehr Aufmerksamkeit, wozu die tabellarische Erfassung der UNRRA-Unterlagen, sowie die bald erscheinenden „Aschaffenburger Geschichten“ (Podcast zum Thema) hoffentlich beitragen können.
An die Menschen welche vor uns waren zu erinnern und ihre Identität zu bewahren – dazu soll die tabellarische, digitale Erfassung der Daten dienen. Auf dass wir mit einem geschärften und unserer Geschichte bewussten Blick die Gegenwart gestalten.