Wie gelingt Erinnerung im digitalen Raum? Darüber durfte ich am 25. Oktober für das Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg auf dem Symposium „#digital_memory. Interaktive Ansätze in der Erinnerungskultur“ in München sprechen. Eingeladen hatte das Medienzentrum München – JFF gemeinsam mit Public History München. Künstler*innen, freie Kulturschaffende und Vermittler*innen hatten im Kulturzentrum „Fat Cat“, ehemals Gasteig, Gelegenheit zum Austausch und Vernetzen. Während der Veranstaltung blieb außerdem viel Zeit zum Erkunden und Ausprobieren der digitalen Angebote, die von verschiedensten Akteur*innen realisiert worden sind. In insgesamt drei Panels diskutierten die Redner*innen gemeinsam mit dem Publikum über Vermittlungsansätze, Zielgruppenanalyse und die Wichtigkeit, im Dialog mit Nutzer*innen zu bleiben. Neugierig? Dann empfiehlt es sich, weiterzulesen:

 

Die im Rahmen des Symposiums ausgestellten Projekte und Serious Games wählen für die Annäherung an die Geschichte ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Das Projekt „ARt. Das KZ Dachau in Zeichnungen“ der Gedenkstätte Dachau zeigt mittels Augmented Reality Bilder, die von Häftlingen im Lager angefertigt wurden und die unter anderem Szenen des Lageralltags darstellen. Auf dem Appellplatz stehend, können Besucher*innen beispielsweise auf ihrem Smartphone mit Augmented Reality Zeichnungen eines Häftlings von diesem Ort sehen und somit das frühere Konzentrationslager aus der Perspektive des Künstlers wahrnehmen. So schlägt das digitalisierte Zeitzeugnis durch das Betrachten am Ort seines Entstehens eine Brücke zur Gegenwart: https://www.kz-gedenkstaette-dachau.de/geschichte-online/art-das-kz-dachau-in-zeichnungen/

 

Die Gedenkstätten Buchenwald und Sachsenhausen zeigen in der virtuellen Ausstellung „Dingen auf der Spur“ (https://dingenaufderspur.de) Objekte des Lageralltags. Auch persönliche Gegenstände, die den Häftlingen gehörten, ihnen aber bei der Ankunft im Konzentrationslager abgenommen wurden, sind zu sehen. Ein Koffer etwa, der vor dem Aufbruch in eine ungewisse Zukunft gepackt wurde, verdeutlicht, wie unvorstellbar das Leben im Lager mit seinen Grausamkeiten, die sich auch im Versuch der Entindividualisierung der Häftlinge äußerte, gewesen ist. Auch Artefakte, die erst im Lager selbst entstanden sind, werden ausgestellt. Diese Objekte, etwa die Skulptur eines Mannes (https://dingenaufderspur.de/objekte/holzfigur), drücken den Drang aus, Kreativität – eine zutiefst menschliche Eigenschaft – auszuleben, sogar unter widrigsten Umständen. Ein grob geschnitztes Schachspiel, das im Konzentrationslager Sachsenhausen angefertigt wurde, zeugt von der Stärke des menschlichen Spieltriebs und schafft damit eine überzeitliche Gemeinsamkeit aller Individuen. Durch die Kontextualisierung der Objekte und Erläuterungen wird Wissen vermittelt. Doch vor allem persönliche Informationen zu den einstigen Besitzern dieser Gegenstände bieten Anknüpfungspunkte: Wer war dieser Mensch? Warum war er interniert? Was bedeutete ihm dieses Objekt?

 

Zahlen und Fakten zu kontextualisieren und die Geschichte eines Lebens zu erzählen, war auch eines der Motive des Messenger-Projekts „Erinnern. Immer“, das vor fast zwei Jahren als Kooperation des Stadt- und Stiftsarchivs mit dem Verein „Jüdisches Leben in Unterfranken. Biografische Datenbank e.V.“ entstanden ist (https://aschaffenburgzweinull.stadtarchiv-digital.de/projekt/erinnern-immer/ ). Ich durfte das Format seinerzeit umsetzen und nun im Rahmen des Symposiums vorstellen. In WhatsApp-Nachrichten erhielten die über 1.000 Abonnent*innen des Angebots Einblicke in die Biografie des jüdischen Bürgers Max Hamburger (1881 – 1942), der bis zu seiner Deportation im April 1942 in Aschaffenburg lebte. Mit Hilfe von Storytelling wurden abstrakte Daten und Fakten zu einer persönlichen Geschichte. Das Leben des Kaufmanns Max Hamburger wurde konkret und damit auch die zunehmende Ausgrenzung jüdischer Bürger*innen in Aschaffenburg. Auch durch Hinweise auf noch existierende Orte im Stadtbild konnte die Vergangenheit anschaulicher werden und in Bezug zu einem früheren Bürger der Stadt und seiner Familie gesetzt werden. Auf diese Weise wird die Relevanz des Vergangenen für unsere Gegenwart herausgestellt.

 

Neben der Frage, worin Chancen und Risiken der digitalen Vermittlung liegen, wurde auch diskutiert, wie man Fakenews und rechter Hetze auf Social Media begegnet. Susanne Siegert leistet als Privatperson einen wichtigen Beitrag zur informellen politischen und historischen Bildung, womit sie vor allem ein jüngeres Publikum mit ihrem Tiktok-Account @keine.erinnerungskultur erreicht. Siegert, die sich selbst als Influencerin bezeichnet, sieht die Tatsache, dass sie selbst keine Historikerin ist, als großes Plus in der Kommunikation mit ihren Followern. Ihr Engagement ist umso wichtiger, da Parteien, die sich mit ihren Äußerungen immer wieder nicht nur mehr am Rande des Rechtsstaats bewegen, sondern weit darüber hinaus zielen, versuchen, junge Menschen via Social Media von ihren rechtsextremen Positionen zu überzeugen. Gerade deshalb sollten Gedächtnisinstitutionen sich mehr um Community-Building, Kommunikation und auch Vermittlung in den sozialen Medien bemühen – und dort sein, wo sich Jugendliche und junge Erwachsene informieren. Schließlich geht es um nichts weniger als darum, die Deutungshoheit über die Geschichte zu behalten. Die Möglichkeit zum offenen Austausch, wie er im Rahmen des Symposiums „#digital_memory“ geboten wurde, ist enorm wichtig, um genau das zu schaffen.

Hier gelangen Sie zum Programm sowie der Onlinepräsenz aller Projekte: https://digitalmemory.medienzentrum-muc.de/

Die Aufzeichnung der Veranstaltung können Sie bei YouTube streamen: https://digitalmemory.medienzentrum-muc.de/panels/

 

Jennifer Jessen